

Arbeitsrecht
Juni 2025 Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen – Anlaufen der Klagefrist – nachträgliche Klagezulassung
veröffentlicht am 02.06.2025
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich am 03.04.2025 (AZ: 2 AZR 156/24) mit einem Sachverhalt auseinanderzusetzen, ob eine Kündigungsschutzklage gem. § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen ist, wenn eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft erlangt hat.
Die Klägerin war seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.05.2022 ordentlich zum 30.06.2022. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14.05.2022 zu. Am 29.05.2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17.06.2022 erhielt. Am 13.06.2022 hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 21.06.2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17.06.2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7+1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Ihr Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den 02.02.2023 aus. Danach hatte die Schwangerschaft am 28.04.2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungsschutzklage sei gem. § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Ohne die ärztliche Feststellung habe sie keine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft gehabt. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt und hätte rechtzeitig Kündigungsschutzklage erheben können. Die Kündigung sei daher von Anfang an wirksam.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auch die Revision der Beklagten wurde vom 2. Senat des BAG als unbegründet zurückgewiesen. Die Kündigung der Beklagten war nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Satz 2 MuSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
Zwar habe die Klägerin mit der Klageerhebung am 13.06.2022 die am 070.6.2022 abgelaufene Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG nicht gewahrt. Diese Frist sei zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Die Frist des § 4 S. 4 KSchG wurde nicht durch eine behördliche Zustimmung zur Kündigung beeinflusst, da die Beklagte keine Kenntnis von der Schwangerschaft der Klägerin hatte. Die verspätet erhobene Klage war jedoch nachträglich zuzulassen. Die Klägerin habe aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 27.06.2022 positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung am 14.05.2022 schwanger gewesen sei. Der etwas mehr als zwei Wochen danach durchgeführte Schwangerschaftstest vom 29.05.2022 hätte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln können.
Das BAG war weiter der Auffassung, dass die teleologische Reduktion des § 4 Satz 4 KSchG bei Unkenntnis des Arbeitgebers nicht gegen Artikel 10 der Richtlinie 92/85/EWG (Mutterschutzrichtlinie) und den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz verstößt. Die Klägerin hat erst nach Ablauf der Klagefrist Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt und die Antragsfristen des § 5 Abs. 3 KSchG gewahrt. Die Kündigung ist nach 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam, da die Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung schwanger war und die Mitteilung der Schwangerschaft unverzüglich nachgeholt hat
Das BAG greift mit seinem Urteil die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf, der in seiner Entscheidung aus Juni 2024 anmahnte, die Zweiwochenfrist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG für die nachträgliche Klagezulassung könnte gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Nun steht nach der Auslegung des BAG fest, dass Kündigungen gegenüber (unerkannt) schwangeren Arbeitnehmerinnen im Zweifel auch noch einige Zeit nach Ablauf der regulären dreiwöchigen Kündigungsfrist anfechtbar bleiben. Denn die zweiwöchige Frist auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG beginnt laut BAG erst nach Ablauf der regulären Kündigungsfrist und mit der ärztlich belegten Kenntnis über den Beginn der Schwangerschaft.
Für Arbeitgeber bleibt die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin weiterhin mit Risiken verbunden. Auch wenn eine Kündigung trotz Sonderkündigungsschutz nach § 17 Abs. 2 S. 1 MuSchG für zulässig erklärt werden kann, sollte immer auch die Möglichkeit einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgelotet werden.
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- Autor: Rechtsanwältin Anja Vollbrecht
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