Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 13.08.2025 - 2 SLa 735/24
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses sowie um Zahlungsansprüche des klagenden Arbeitnehmers. Bei der Beklagten handelt es sich um einen Fachhändler für E-Bikes. Der Kläger war seit Januar 2016 als Verkäufer sowie ab Juli 2021 als Filialleiter bei der Beklagten tätig. Die Vergütung betrug zuletzt monatlich 4.751,66 € brutto. Im weiteren Zusammenhang mit der Tätigkeit als Filialleiter gab es zwischen den Parteien Verhandlungen bezüglich des Abschlusses eines gesondert schriftlichen Arbeitsvertrages. Der Geschäftsführer der Beklagten übermittelte dem klagenden Arbeitnehmer am 14.03.2023 als Anlage zu einer E-Mail einen Arbeitsvertragsentwurf, in dem es unter anderem wie folgt hieß:
Verhandlungen über Arbeitsvertragsanpassungen:
„…
§ 4 Arbeitsvergütung
Der Arbeitnehmer erhält eine monatliche Bruttovergütung von 4.158 €. Des Weiteren erhält der Arbeitnehmer eine monatliche Filialleiterzulage in Höhe von 629 €.
Neben der fixen Vergütung erhält der Arbeitnehmer im Falle eines erfolgreich und mit Gewinn abgeschlossenen Wirtschaftsjahres einen Jahresbonus in Höhe von 10.000 € zzgl. 2 % des auf die Filiale A-Stadt zuzurechnenden Gewinns. Eine Bonuszahlung im Falle eines mit Verlust abgeschlossenen Wirtschaftsjahres entfällt. Hiermit erklärt sich der Arbeitnehmer ausdrücklich einverstanden. Die Auszahlung der Bonuszahlung erfolgt nach der Feststellung des Jahresabschlusses für das abgelaufene Wirtschaftsjahr.
…“
Zwei Tage später, mithin am 16.03.2023, übersandte der Geschäftsführer der Beklagten unter anderem an den Kläger eine in niederländischer Sprache verfasste E-Mail. Diese hatte übersetzt folgenden Wortlaut:
„Ich habe euch beiden einen Vertrag zugesandt, diesen habe ich durchgelesen und besprochen. Gerne könnt Ihr diesen von jemandem kontrollieren lassen, der sich mit Arbeitsrecht auskennt, aber dies soll es im Großen und Ganzen werden.
Der Bonus von 10.000 € kommt in diesem Jahr so schnell wie möglich, in diesem Monat haben wir einen schlechten Cashflow, muss aber hoffentlich im April klappen.“
Kein gesonderter Vertragsabschluss:
Unstreitig ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit diesem Inhalt von den Parteien nicht unterzeichnet worden.
Am 11.12.2023 führte die Beklagte eine Inventur durch. Diese ergab, dass sieben Fahrräder fehlten, deren Verbleib bis zuletzt nicht aufgeklärt werden konnte. Am 24.01.2024 hörten die Geschäftsführer der Beklagten sodann den Kläger zu dem Verbleib der fehlenden Fahrräder und dem Verdacht von Schwarzgeldgeschäften an.
Ordentliche Kündigung vom 24.01.2024:
Nachdem aus deren Sicht keinerlei entlastenden Umstände vorgebracht worden sind, hatte die Beklagte mit Schreiben vom 24.01.2024, dem Kläger ebenfalls an diesem Tage übergeben, das Beschäftigungsverhältnis ordentlich gekündigt. Hiergegen wandte sich der Kläger sodann mit seiner am 06.02.2024 gerichteten Kündigungsschutzklage. Neben seinem Bestandsschutz begehrte er im Weiteren auch einen Zahlungsanspruch mit Blick auf seine aus seiner Sicht zustehenden Jahresprämie. Zur Begründung seiner Forderung reichte er daneben ein als Arbeitsvertrag vom 15.01.2016 bezeichnetes Schriftstück als Anlage ein. Darin heißt es unter anderem:
“...
§ 4 Arbeitsvergütung
Der Arbeitnehmer erhält eine monatliche Bruttovergütung von 4.158 €. Des Weiteren erhält der Arbeitnehmer eine monatliche Filialleiterzulage in Höhe von 629 €.
Neben der fixen Vergütung erhält der Arbeitnehmer eine Jahresprämie in Höhe von 10.000 €. Diese wird mit Ablauf des Geschäftsjahres ausgezahlt.
Der Arbeitnehmer erhält eine weitere Bonuszahlung in Höhe von 2 % des auf die Filiale A-Stadt zuzurechnenden Gewinns. Im Falle eines mit Verlust abgeschlossenen Wirtschaftsjahres entfällt dieser Bonus. Hiermit erklärt sich der Arbeitnehmer ausdrücklich einverstanden. Die Auszahlung der Bonuszahlung erfolgt nach der Feststellung des Jahresabschlusses für das abgelaufene Wirtschaftsjahr.
…“
Am 19.02.2024 kam sodann ein Arbeitnehmer der Firma F. in die Filiale der Beklagten, in der der Kläger zuletzt als Filialleiter tätig war. Bei der vorbenannten Firma handelt es sich um einen Geschäftspartner der Beklagten. Der Arbeitnehmer teilte der anwesenden Geschäftsführerin der Beklagten mit, dass er 280 € in bar für einen der Beklagten übersandten Akku kassieren wolle. Es hätte eine Vereinbarung zwischen „Rainer“ gegeben, insbesondere dahingehend, dass er 280 € in bar auf die Hand erhalte. Im Weiteren hatte die Beklagte keinerlei Kenntnis von einem entsprechenden Geschäft.
Außerordentliche Kündigung vom 21.02.2024:
Nachdem die Kündigungsschutzklage des Klägers der Beklagten am 07.02.2024 zugestellt worden ist, hat diese sodann mit Schreiben vom 21.02.2024 das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin gekündigt. Zur Begründung führte die Beklagte weitestgehend aus, dass durch die Vorlage eines nicht vorliegenden Arbeitsvertrages zur Stützung unbegründeter Ansprüche ein versuchter Prozessbetrug von Seiten des Klägers vorgenommen worden sei. In der Folge sei das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstört. Auch gegen diese Kündigung wandte sich sodann der Kläger.
Erstinstanzliches Arbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht:
Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Lingen hat mit Urteil vom 09.10.2024 der Klage des Klägers stattgegeben. Nicht nur, dass die streitgegenständlichen Kündigungen unwirksam seien, stünde dem Kläger auch ein Anspruch auf Zahlung eines Bonus in Höhe von 10.000 € für das Jahr 2022 zu. Zum einen könnten die von der Beklagten vorgebrachten Vorwürfe nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt werden. Auch ein versuchter Prozessbetrug durch entsprechendem Vortrag in der Klageschrift unter Stützung auf entsprechende Anlagen sei nicht gegeben. Der Zahlungsanspruch resultiere unter anderem aus der vom 16.03.2023 datierten E-Mail des Geschäftsführers. Mit der sodann eingelegten Berufung verfolgte die Beklagte ihr erstinstanzliches Ziel der Klageabweisung sodann weiter.
Berufung der Arbeitgeberin hatte überzeugenden Erfolg:
Die Berufung hatte mit Blick auf die vorbenannten streitgegenständlichen Aspekte Erfolg.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.02.2024 beendet worden. Es liege insbesondere ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor. Ein solcher könne nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks dient, könne an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen führte sodann aus, dass bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, geeignet sein können, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt - ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz seines Handelns - in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Keine Rolle spiele es nach Auffassung des LAG Niedersachsen, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich sei. Auch ein untauglicher Versuch eines Prozessbetruges könne das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören.
Tatsachenbehauptungen sind dem Beweis zugänglich:
Eine Tatsachenbehauptung zeichne sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich sei. Falsch sei eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspreche, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergebe. Auch das Verschweigen von Tatsachen mache eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständig ausgegeben werde und dadurch der Gegenstand in einem falschen Licht erscheine.
Bei der entsprechenden Anwendung der vorstehenden Grundsätze habe der Kläger nach Auffassung des LAG Niedersachsen einen versuchten Prozessbetrug zulasten der Beklagten begangen. Nach der Rechtsbrechung des Bundesarbeitsgerichts sei bereits nicht nur vollendete, sondern auch nur versuchte Eigentums- und Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
Abgrenzung zum Werturteil:
In der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, könne eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Voraussetzung sei, dass die Erklärung über die Äußerung einer Rechtsauffassung hinausgehe, die als Werturteil nicht Gegenstand einer Täuschung sein könne, und zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern enthalte. Dies sei der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines in Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet werde.
Ein derartiger Fall läge hier vor. Mit der Klageerhebung und dem Verweis auf den als Anlage zur Klageschrift eingereichten Arbeitsvertrag vom 15.01.2016 habe der Kläger erklärt, zwischen den Parteien sei ein Arbeitsvertrag mit dem vorgelegten Inhalt vereinbart worden. Unstreitig sei ein solcher allerdings nicht geschlossen worden. Dadurch, dass der Kläger im Weiteren schriftsätzlich vortragen ließ, dass der von der Beklagten vorgelegte Arbeitsvertrag im Wesentlichen mit dem von ihm mit der Klageschrift eingereichten Arbeitsvertrag übereinstimme, räume er ein, dass es keine Einigung zwischen den Parteien über sämtliche von ihm mit der Klage geltend gemachten Ansprüche gegeben habe. Der Kläger habe durch sein Vorbringen in dem Prozess selbst zu erkennen gegeben, dass er die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit seines Tatsachenvortrages kannte, dies zumindest aber billigend in Kauf genommen habe.
Im Ergebnis sei auch unter Berücksichtigung des Ultima-Ratio-Prinzips sowie einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne kein Einwand gegen die streitgegenständlich außerordentliche Kündigung geben. Insbesondere sei eine zuvorige Abmahnung aufgrund der Schwere und für den Arbeitnehmer erkennbaren Situation entbehrlich gewesen. Auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit sowie des Lebensalters des Klägers, der bereits mit Ende 50 Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben könnte, sei aufgrund der Schwere des Vorwurfes, der Einstellung des Klägers sowie auch seiner dem Grunde nach vorliegenden Vorbildfunktion als Filialleiter keine andere Auffassung vertretbar.
Auch kein Anspruch auf Jahresprämie:
Im Übrigen wies das Landesarbeitsgericht auch den Zahlungsanspruch im Hinblick auf die Jahresprämie in Höhe von 10.000 € zurück. Der Kläger habe hierzu widersprüchliche Vorgaben dargelegt. Entsprechende Widersprüche seien auch nicht von dem Kläger nicht aufgeklärt worden. Aus der zitierten E-Mail allein ergebe sich insbesondere kein konkreter Bindungswille.
Praktische Einordnung:
Die Entscheidung ist aus Arbeitgebersicht zu begrüßen. Sie macht einmal mehr deutlich, dass sich auch noch im laufenden Kündigungsrechtsstreit Gründe ergeben können, die eine weitergehende Zusammenarbeit unzumutbar erscheinen lassen. Insbesondere sofern der Arbeitnehmer nicht nur in angemessener Weise mit „harten Bandagen“ um den Bestand seines Arbeitsverhältnis oder ihm zustehende Ansprüche kämpft, sondern darüber hinausgehend sich willkürlich etwaiger Ansprüche berühmt, kann die Schlussfolgerung nach entsprechender rechtlicher Prüfung zulassen, dass gegebenenfalls unlautere Absichten verfolgt und damit gegebenenfalls ein (versuchter) Prozessbetrug einschlägig ist, sodass dann eine weitergehende außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt sein könnte.
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